
22. Mai 2018 | Fraud Red Flags | von Dr. Alexander Schuchter
“Man muss … eine gewisse Sensibilisierung haben. Es gibt genug, die es nicht haben. Ich finde es ist eine grosse Pflicht, dass man … psychologische Zeichen erkennt und geschult ist … es wäre für alle gut gewesen, früher entdeckt zu werden.”
Wirtschaftsstraftäter-Aussage | Eigene Befragung
Offen bleibt, wieweit man mit entsprechender Sensibilisierung den Niedergang des Konzerns abwenden hätte können. Dem Täter zufolge wären damit zumindest die Strafen und Stigmatisierungen der Führungskräfte und Verwaltungsräte milder ausgefallen.
Wie gut sind Sie aufgestellt eine Manipulation zu erkennen, die bereits den Weg in Ihr Büro gefunden hat? Können Sie im Fall des Falles belegen, dass Sie angemessene Vorkehrungen getroffen haben?
Bei meinen Fraud-Untersuchungen stelle ich oft fest, dass typische Auffälligkeiten nicht bekannt waren. „Der sah mich so komisch an, war häufig abwesend und hat bestimmt eine kriminelle Vorgeschichte“ sind keine gängigen Fraud Red Flags. Gesunder Menschenverstand und Bauchgefühl sind hier definitiv zu wenig.
Was passiert, wenn Arbeitskräfte nicht wissen, was dunkelrote Warnsignale sind? Sie ahnen es: Ausbleibende oder falsche Meldungen, die zusätzliche Kosten verursachen. Denn schliesslich ist auch Falschmeldungen nachzugehen – unabhängig davon, ob ein Hinweisgebersystem vorhanden ist oder nicht.

Wenn weder Führungskräfte noch Mitarbeitende die gängigen Warnsignale (er)kennen, hat Wirtschaftskriminalität in Unternehmen die besten Voraussetzungen.
Die grosse Gefahr doloser Handlungen besteht darin, dass die Täter ihr Möglichstes tun, um nicht entdeckt zu werden. Dadurch ist es sehr viel schwieriger ihnen auf die Schliche zu kommen, als beispielsweise einem Mitarbeiter, der einen Fehler gemacht und nicht gemeldet hat.
Ein „erfolgreicher Beutezug“, der verborgen bleibt, wird fast immer fortgesetzt. Das bestätigen auch meine unabhängigen Studienerkenntnisse, die ich durch Täterbefragungen an der Universität St. Gallen (HSG) gewinnen konnte. Das erschreckende Ergebnis: Je länger wirtschaftskriminelle Taten unbemerkt verübt werden, desto gravierender die Schäden und Konsequenzen.
Was sind Fraud Red Flags?
Bedeutung der Fraud Red Flags
Fraud Red Flags, also übersetzt „rote Flaggen“, sind Indikatoren, die auf wirtschaftskriminelle Handlungen hindeuten können. Ein vereinzeltes Auftreten einer solchen Auffälligkeit ist noch kein Grund zur Sorge. In bestimmten Situationen können auch mehrere Red Flags auftreten, was nicht zwangsläufig die Existenz von dolosen Handlungen belegt. Mit einer erhöhten Anzahl bestimmter Red Flags sollte Ihre Aufmerksamkeit jedoch steigen.
Ab wie vielen Fraud Red Flags eine gründliche Untersuchung notwendig wird, ist vom Einzelfall und den Rahmenbedingungen abhängig. Einem Fraud-Gerücht oder einer Vermutung sollte jedoch bereits nachgegangen werden. Dabei entscheidend ist, ob weitere Hinweise erlangt werden können, die eine tiefergehende Untersuchung rechtfertigen.
Fraud Red Flags und Fraud Triangle
Um Fraud Red Flags besser einordnen zu können, wird verstärkt das Fraud Triangle, auch Betrugs-Dreieck genannt, herangezogen. Dieses Frühwarninstrument benennt drei Faktoren, durch die das Fraud-Risiko steigt:
- Gelegenheit,
- Motivation und
- Rechtfertigung.
Wenn es Gelegenheiten zur Tat gibt, die Tatmotivation gross und leicht zu rechtfertigen ist, entstehen Risikofaktoren.
Ursprünglich war das Betrugs-Dreieck als Verständnishilfe für interne Revisoren, Compliance Officers und Abschlussprüfer gedacht. Aufgrund der veränderten Rahmenbedingungen, erhöhten Haftungsrisiken und erkannten Chancen wird das Fraud Triangle inzwischen von vielen Berufsständen verwendet. Es wurde zu einem wertvollen Bestandteil einer guten Corporate Governance.
Hinweis: Die Verantwortung für die Vermeidung und Aufdeckung von Verstössen liegt nicht beim Abschlussprüfer, sondern beim Management und den Aufsichtsorganen.
Kategorisierung der Fraud Red Flags
In der betrieblichen Praxis können je nach Verwendungsart verschiedene Kategorisierungen von Auffälligkeiten hilfreich sein. Identifizierbar sind Fraud Red Flags in folgenden Kontrollbereichen:
- Situation und
- Verhalten.
Situationsbedingte Risikofaktoren können durch externe Geschäftsfaktoren wie verstärkter Wettbewerb, oder unternehmensinterne Umstände wie Streitigkeiten, hervorgerufen werden. Neben neu entstandenen Situationen kann das Augenmerk auch auf das Verhalten, wie eine plötzliche Abwehrhaltung bei Routineprüfungen, gerichtet werden.
Den von mir befragten Täter ist bewusst, dass dadurch die Entdeckungswahrscheinlichkeit steigt. Beide Kontrollbereiche sind deshalb stark abschreckend. Sie halten einen potentiellen Wirtschaftsstraftäter sehr wirksam von dolosen Handlungen ab. Selbst mit viel Mühe schafft es der Täter kaum bestimmte Fraud Red Flags zu kaschieren.
Fraud Red Flags im Datenmaterial
Mit dem Stichwort „Industrie 4.0“ wird die Technik zweifellos wichtiger. Sie erleichtert die Bewältigung grosser Datenmengen. Seit einigen Jahren gibt es intelligente Software, die Auffälligkeiten in Daten erkennt. Derartige Programme sind wertvolle Werkzeuge, die durch geschultes Personal bedient werden müssen.
Bereits von Beginn an sind die richtigen Fragen zu stellen. Zusammenhänge sind zu verstehen und zu verknüpfen. Ergebnisse sind zu dechiffrieren und zu interpretieren. Vorsicht ist beim weiteren Umgang mit sensiblen Daten geboten.
Dabei darf nicht vergessen werden, dass Fraud ein menschliches Verhaltenselement ist. Es beinhaltet Täter-Vorgehen, Viktimologie, Emotionen, Intuitionen und Wahrnehmungen. Durch moderne Datenanalytik können diese Elemente nur unvollständig erfasst werden.
Datenanalytische und technische Systeme verbergen tote Winkel. Entsprechend ergeben sich neue Tat-Gelegenheiten. Nicht zuletzt können technische Kontrollen auch durch die Zusammenarbeit mehrerer Personen leicht umgangen werden. Täter berichten mir häufig von Kontrollen und Systemen, die sie spielerisch leicht manipulierten.
Aus der betrieblichen Praxis: Die oben angeführten Argumente unterstreichen die Notwendigkeit einer menschlichen Fraud-Fachexpertise bei der Datenanalytik. Einige mir bekannte Unternehmen haben es im Nachhinein bereut, dass sie zu wenig in das menschliche Fraud-Fachwissen investierten.
Top 3 Warnsignale im Datenmaterial:
- Beträge, die nicht weit unter der Prüfgrenze liegen
- Doppelte oder stornierte Buchungen zu unüblichen Zeiten
- Fehlende Dokumente, Unterbrechung der fortlaufenden Nummerierung

Fraud Red Flags zu Manipulationen der Rechnungslegung
Bei Manipulationen der Rechnungslegung wird oft von Unregelmässigkeiten oder Finanzmanipulationen berichtet. Dabei handelt es sich um eine Falschdarstellung oder Weglassung wesentlicher Informationen in der Finanzberichterstattung. In fast allen Fällen haben diese Manipulationen Auswirkungen auf die Bilanz und/oder Erfolgsrechnung (GuV). Seltener sind auch der Anhang und Lagebericht betroffen.
Top 3 Risikofaktoren der Finanzmanipulation mit Bezug zum Fraud Triangle:
- Gelegenheit: Veraltetes, überholtes Kontrollsystem
- Motivation: Verlustängste bei negativem Ergebnis oder Erreichung von Bonuszielen
- Rechtfertigung: Unzureichendes Bewusstsein für Fraud
Fraud Red Flags zu Korruption und Vermögensdelikten
Unter Korruption können Bestechung, Interessenskonflikte, Erpressung oder rechtswidrige Zuwendungen verstanden werden. Vermögensdelikte führen zu Vermögensschädigungen, deren Ausprägungen sich in Diebstahl, Unterschlagung, Veruntreuung etc. niederschlagen. Diese wirtschaftskriminellen Handlungen entstehen beispielsweise durch eine unberechtigte Nutzung von Wertgegenständen oder finanziellen Ressourcen und bringen typische Auffälligkeiten zum Vorschein.
Top 3 Fraud Red Flags mit Bezug zum Fraud Triangle:
- Gelegenheit: Lücken in den Zutrittsbeschränkungen
- Motivation: Ausstehende Beförderung oder Gehaltsanpassung
- Rechtfertigung: Vernachlässigung des Fraud Managements und damit geringeres Risiko entdeckt zu werden
Fraud Red Flags beim Verhalten
Viele Verhaltenswarnzeichen identifiziere ich durch Gespräche mit dem Täter und vor allem mit seinem Umfeld. Diese Auffälligkeiten sind vor oder nach dem Zeitpunkt der Tat zu beobachten. Je nach Geschlecht, Alter und Deliktart des Täters gibt es leichte Abweichungen.
Top 3 Verhaltensauffälligkeiten:
- Ein Leben über die eigenen Verhältnisse
- Widerwille bezüglich Aufgabenteilung und unverhältnismässiger Aufbau von Überstunden oder auch Urlaub
- Enormer finanzieller Druck und überhöhte Erwartungen
Als Untersuchungsleiter primär im deutschsprachigen Raum kann ich der amerikanischen ACFE-Studie auch in folgendem Punkt zustimmen: Vor der Aufdeckung ist in über 90% mindestens eine eindeutige Verhaltensauffälligkeit zu beobachten. In 60% der Fälle sind sogar zwei oder mehrere Warnsignale zu erkennen.
Zu guter Letzt
Lassen Sie sich und Ihre Arbeitskräfte in sensiblen Unternehmensbereichen im Rahmen von Trainings durch Fachexperten sensibilisieren. Besonders relevant ist dies für Interne Revisoren, Compliance-Verantwortliche, Unternehmensjuristen und Risiko-Manager. Aus Sicht der rechtlichen Verantwortung sind zusätzlich Führungskräfte – inklusive Geschäftsführung – sowie Aufsichtsorgane in ihrem eigenen Interesse aufgefordert.

Durch Sensibilisierung erhalten Sie ein differenziertes Bild existenter Risiken. Erst damit sind Sie in der Lage Täuschungen und Ablenkungsmanöver zu durchschauen. Lassen Sie sich nicht in die Irre führen!
Fraud Red Flags können auf Wirtschaftskriminalität hindeuten. Um Risikofaktoren beurteilen zu können, müssen gängige Warnsignale richtig verstanden werden. Anstatt Checklisten ist Sensibilisierung gefragt. Je besser die Führungskräfte vorhandene Auffälligkeiten deuten, desto geringer sind die Haftungsrisiken, Reputationsschäden, finanziellen Verluste und persönlichen Konsequenzen.
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